Patientenschulung – ein Überblick

Was ist Patientenschulung?

Mit der Zunahme chronischer Erkrankungen in unserer Gesellschaft gewinnen medizinische Konzepte an Bedeutung, die über die klassischen medizinischen Ansätze hinaus gehen. Die Heilung von Erkrankungen, die häufig nicht mehr möglich ist, ist weniger bedeutsam als der lebenslange Umgang mit ihr.

Die Rolle des Patienten wird immer wichtiger. Er ist nicht mehr nur der Empfänger medizinischer Leistungen, sondern muss ein aktiv Handelnder werden, um die Auswirkungen seiner Erkrankung kontrollieren und eine angemessene Lebensqualität erhalten zu können. Hierzu ist zum einen wichtig, von ihm selbst zu erfahren, welche Ziele er im Umgang mit der Krankheit erreichen möchte und ihn zum anderen zu befähigen, die dafür notwendigen Fähigkeiten zu erlangen und die eigenen Einstellungen darauf auszurichten.

Für das therapeutische Handeln bedeutet dies eine stärkere Gewichtung der „sprechenden Medizin“: Der Patient soll befragt, informiert, angeleitet, motiviert und emotional gestützt werden.

Eine Möglichkeit, diese Aspekte umzusetzen ist die Patientenschulung.

Moderne Patientenschulung dient dem Empowerment von Rehabilitanden. Während traditionellerweise unter Schulung meist Wissensvermittlung verstanden wurde, stellen aktuelle Konzepte Handlungskompetenzen und motivationale Faktoren in den Mittelpunkt. Den Teilnehmern sollen Strategien und Fertigkeiten zur Verfügung gestellt werden, um informierte Entscheidungen und Selbstmanagement hinsichtlich Gesundheit und Lebensstil vornehmen zu können. Entsprechend hat sich die Didaktik weg vom Frontalvortrag hin zu einem interaktiven, teilnehmerorientierten Vorgehen gewandelt. Metaanalysen dokumentieren, dass eine derart konzipierte Patientenschulung wirksam ist.

(Aus dem Abstract des Artikels “Innovative Schulungskonzepte in der medizinischen Rehabilitation” von H. Faller, A. Reusch und K. Meng, 2012)

Die Ziele der modernen Patientenschulung sind daher Selbstmanagementfähigkeiten, Empowerment und Compliance bzw. Adhärenz. Eine gut zu lesende Einführung in die Bedeutung von Empowerment und der sich verändernde Rolle des Patienten finden Sie in diesem Artikel:
Faller, H. (2014). Patientenschulung heute: Ziele, Methoden, Ergebnisse. Prävention und Rehabilitation, 26(2), 41-48. DOI: 10.5414/PRX00453

Schulungskonzepte

Etwas formaler formuliert, sind Patientenschulungen …

  • strukturierte, manualisierte Gruppenprogramme,
  • für Patienten mit chronischen Erkrankungen,
  • mit mehreren Schulungseinheiten,
  • frontalen und interaktiven Methoden
  • unter Einbezug mehrerer Interventionsebenen (Kognition, Emotion, Motivation, Verhalten).

Diese Eingrenzung des Schulungskonzeptes stammt aus einer der ersten Aufgaben, des von der Deutschen Rentenversicherung Bund geförderten Umsetzungsgsprojekts “Vorbereitung eines Zentrums Patientenschulung” im Jahr 2005. In einem konsentierten Konsensusverfahren (Delphi-Prozess) erarbeiten die beteiligten Experten die Bestimmungsstücke von Patientenschulung und einigten sich auf die Merkmale, die Patientenschulung ausmachen und von anderen Interventionen unterscheiden. Eine ausführliche Darstellung des Prozesses und der Ergebnisse finden Sie im Bereich “Schulungskonzepte”.

Unterstützung bei der Konzeptualisierung und Manualisierung bietet das Zentrum Patientenschulung Workshops und Beratungen

Ein Wirkmodell der Patientenschulung

Wirkmodell der Patientenschulung

Dieses Wirkmodell hat das Zentrum Patientenschulung auf Basis impliziter Wirkannahmen und empirisch überprüfter Modelle entworfen. Zusammengefasst wird angenommen, dass durch die psychoedukativen Elemente der Patientenschulung zunächst Wissen, Fertigkeiten, Motivationen und Einstellungen beeinflusst werden können. Es ist anzunehmen, dass sich messbare Effekte der Patientenschulung vor allem in den proximalen, schulungsnahen Zielen abbilden lassen. Sie stellen die Voraussetzungen für Selbstmanagement und Empowerment dar. Die etwas ferner gelegenen und langfristigen Auswirkungen, wie Gesundheitsverhalten und Compliance, sind häufig durch eine Vielzahl von Moderatoren beeinflusst. Effekte der Schulung auf diesen distalen Zielen sind deshalb häufig geringer. Die übergeordneten Ziele wie Verbesserung der Lebensqualität und Teilhabe können nach diesem Wirkmodell erst erreicht werden, wenn die vorgeordneten Ziele erfüllt sind und sich keine personenbedingten oder umweltbedingten Störeinflüsse nachteilig auswirken (siehe auch: Faller, H., Reusch, A., & Meng, K. (2011). DGRW-Update: Patientenschulung. Rehabilitation, 50 (5), 284-291. DOI: 10.1055/s-0031-1285889)

Schulungsumsetzung

Zu einer guten Patientenschulung gehört nicht nur ein gutes Schulungskonzept. Die praktische Umsetzung einer Schulung bringt eine Reihe von Merkmalen mit sich, die einen direkten oder indirekten Einfluss auf die Qualität der Schulung haben. Auch diese Merkmale wurden durch das Zentrum Patientenschulung in Zusammenarbeit mit Experten zusammengestellt. Das Ergebnis war eine Sammlung von Merkmalen, die auf 11 Dimensionen in vier Bereiche einsortiert wurden. Sie zeigen Ansatzpunkte zur Erhöhung der Qualität der Schulung in der Umsetzung.

  • Teil I: Rahmenbedingungen
    • I.1 Adäquater Schulungsraum
    • I.2 Verfügbarkeit von Medien und Materialien
    • I.3 Geeignete Schulungszeit
    • I.4 Zugang zur Schulung
  • Teil II: Schulungsteam
    • II.1 Organisation des Schulungsteams
    • II.2 Voraussetzungen der Schulungsleiter, Einarbeitung
    • II.3 Kontinuierliche Fortbildung der Schulungsleiter
  • Teil III: Einbindung der Schulung in das Klinikgesamtkonzept
    • III.1 Schulungseinbindung
    • III.2 Engagement der Klinikleitung
  • Teil IV: Maßnahmen des Qualitätsmanagements
    • IV.1 Schulungsspezifisches Qualitätsmanagement
    • IV.2 Allgemeines Qualitätsmanagement (schulungsübergreifend)

Die 11 Dimensionen sind weiter aufgegliedert in 59 einzelne Kriterien. Eine komplette Auflistung der Kriterien sowie eine Beschreibung des Konsensusverfahrens finden Sie im Abschnitt “Schulungsumsetzung”.

Didaktik

Mit dem Anspruch eines aktiv partizipierenden Patienten, der in die Lage versetzt werden soll, im Sinne seiner Gesundheit eigenständig entscheiden und handeln zu können (Stichworte Empowerment und Selbstmanagement) stößt das traditionelle Vermittlungsmodell des Frontalunterrichts an seine Grenzen.

Schulungsprogramme sollten möglichst direkt an den Bedürfnissen der Teilnehmer ansetzen und damit über die klassische Wissensvermittlung hinausgehen. Die Probleme, Motive und Ziele der Patienten sollten zum Ausgangspunkt der Schulung gemacht werden, um das Engagement während des Schulungsprozesses zu fördern und eigenverantwortliches Handeln zu erleichtern. Ziel ist, eine optimale Voraussetzungen für den Transfer in den Alltag zu schaffen. Erreicht werden kann dies nur durch ein interaktives, aktivierendes Vorgehen.

In der Umsetzung ist daher eine didaktischen Vielfalt notwendig, um diesen unterschiedlichen Zielen gerecht werden zu können:

Wissensvermittlung erfolgt üblicherweise durch einen strukturierten Vortrag in einfacher, verständlicher Sprache mit Beispielen aus dem Alltagsleben der Teilnehmer. Die Anbindung an das Erleben der Teilnehmer ist dabei wichtiger als die fachliche Tiefe, Genauigkeit oder Vollständigkeit der vermittelten Informationen. Das Informationsbedürfnis der Teilnehmer sollte Vorrang vor einer erschöpfenden Vermittlung eines Wissenskanons haben.

Die teilnehmeraktivierende Vermittlung von Wissen, beispielsweise durch Erarbeitung in Kleingruppen mit anderen Patienten oder durch praktische Übungen ist dabei mehr als nur eine Alternative, sondern ein unverzichtbarer Bestandteil im Methodenkoffer der modernen Patientenschulung.

Auch Diskussionsrunden gehören als eigenständige Methode zu diesem Instrumentarium. Mit ihnen kann man nicht nur im Anschluss an einen Vortrag überprüfen, was die Teilnehmer eventuell nicht oder falsch verstanden haben. Sie sind auch gut geeignet, um die zu vermittelnden Schulungsinhalte mit dem Vorwissen und den subjektiven Krankheitstheorien der Teilnehmer zu verknüpfen und über ihre Eigenaktivitäten die Lernergebnisse zu stabilisieren.

Gerade Einstellungsveränderungen können am besten in einer interaktiven Gruppendiskussion erreicht werden, denn Gedanken, die von den Teilnehmern selbst entwickelt wurden, werden leichter akzeptiert als vom Experten vorgegebene Empfehlungen.

Schließlich ist das praktische Üben beim Erwerb von Handlungskompetenzen unverzichtbar. Um die Wahrscheinlichkeit der Übernahme eines neu gelernten Verhaltens in den Alltag zu erhöhen, ist es sinnvoll, den Alltagstransfer von den Patienten selbst in sogenannten Planungsinterventionen konkret vorbereiten zu lassen.

Diese Beispiele können nur andeuten, welche Bedeutung der Methodenvielfalt im Rahmen der Patientenschulung zukommt. Das Zentrum Patientenschulung bietet Workshops zu didaktischen Methoden an, in denen es darum geht, interaktive Methoden für ein eigenes Schulungskonzept zu entwickeln oder bestehende Methoden zu verbessern. Zur praktischen Durchführung gehört neben dem Konzept auch entsprechend geschulte Dozenten. Angebote zur Fortbildung in Gruppenmoderation bzw. Fortbildungen (Train-The-Trainer-Seminare) zu spezifischen Schulungen finden Sie auf unserer Homepage im Bereich Fortbildung.

Evaluation und Forschung

Der oben geschilderte Konsens der Experten belegt noch nicht die Wirksamkeit der Patientenschulung oder die Forderung nach ihrem Einsatz in der Regelversorgung. Diese Aspekte sind Aufgabe der Wirksamkeitsforschung. In den letzten Jahren wurden für eine Vielzahl von Schulungsprogrammen Evaluationsstudien durchgeführt und unter Praxisbedingungen überprüft, wie wirksam Schulungsmaßnahmen sind. Hierbei konnte gezeigt werden, dass Patientenschulungen auf eine Vielzahl relevanter Gesundheitsparameter einen Einfluss haben und ihr Einsatz in vielen Bereichen inzwischen als Standard gelten kann.

Im Abschnitt Forschung > Wirksamkeit erfahren Sie mehr über Forschungsergebnisse zur Wirkung von Schulungen. Der Abschnitt Forschung > Evaluation beschäftigt sich mit der Forschungsmethodik des Feldes und vermittelt einen Eindruck, wie Schulungen wissenschaftlich überprüft werden können.

Schulungen in der Praxis

In der medizinischen Rehabilitation ist Patientenschulung in den unterschiedlichen Indikationsbereichen seit unterschiedlich langer Zeit ein fester Bestandteil des Behandlungskatalogs. Dementsprechend existieren nicht nur eine Vielzahl von veröffentlichten Schulungsprogrammen, sondern auch eine Reihe inhaltlicher und formeller Vorgaben durch Versicherungsträger oder durch Fachgesellschaften (KTL, Visitation, Reha-Therapiestandards ...) In der folgenden Grafik sind verschiedene Entwicklungsstufen von Schulungen und die damit verbundenen Anforderungen skizziert. Schaubild zum Entwicklungsbedarf von Patientenschulungen

Idealerweise stellt die Entwicklung einer Schulung einen Prozess dar, an deren Anfang ein unstandardisiertes Schulungskonzept steht, meist eine Schulung, die in einer Einrichtung an eine bestimmte Person gebunden ist und von dieser immer wieder durchgeführt wird. Soll eine Schulung von der Durchführung durch eine bestimmte Person an einem bestimmten Ort losgelöst und allgemeingültiger gefasst werden, spricht man von der Standardisierung einer Schulung. In diesem Prozess müssen Vorgaben der Träger (Reha-Therapiestandards, KTL) ebenso berücksichtigt werden wie Versorgungsleitlinien oder Empfehlungen von Fachgesellschaften. Ein fertiges Programm sollte idealerweise in seiner Wirksamkeit überprüft werden (Evaluation). Sind dieses Schritte vorgenommen und ein standardisiertes, wirksames Programm erarbeitet worden, spielt schließlich auch die Verbreitung des Programms eine Rolle, damit möglichst viele Patienten in den Genuss einer wirksamen Schulung kommen. In der regelhaften Durchführung sollte ein Konzept schließlich immer wieder überprüft werden und die Durchführenden adäquate Trainer-Kompetenzen besitzen bzw. erwerben können (Fortbildungen, Train-The-Trainer).

Dieser Prozess ist ein langwieriger Prozess, der sich über lange Zeiträume erstreckt und der viele Akteure vereinigt. Weder Kliniker aus der Praxis, noch Vertreter der Versicherungsträger oder Forschungseinrichtungen können alle diese Elemente alleine stemmen. Der Verein Zentrum Patientenschulung sieht es als eine seiner wichtigsten Aufgaben, alle am Schulungsprozess beteiligten Personen und Institutionen zu vernetzen und einzelne Schritte dieses Prozesses durch Rat und Tat zu unterstützen. Wenn Sie mehr über die Arbeit des Vereins erfahren möchten, lesen Sie bitte im Abschnitt Verein weiter.